Würde und Würdigung kultivieren

18. Dezember 2021

Die Sache mit der Unantastbarkeit: ich orte meine Würde ja in meinem Inneren. Das heißt zwischen der Situation, die meine Würde antastet und meiner Würde, bin ich – gewissermaßen. Mich kann man angreifen, berühren, antasten, anstupsen, auf vielen Ebenen. Wie sich meine Würde, wie ich mich mit meiner Würde dazustelle, ist ein eigener Prozess, der oft unbewusst läuft, aber eben auch bewusst laufen kann, über die Ausrichtung meiner Haltung. Das nur dazu, warum Würde für mich etwas mit Haltung zu tun hat.

Und nun ist es so, dass sich dieser Würdekern in jedem Menschen (in jedem Lebewesen womöglich) befindet. Der zeigt sich nicht immer, selten vielleicht sogar. Aber es gibt die Grundannahme (und deswegen ist die Erwähnung im ersten Artikel der Charta der Menschenrechte mehr als berechtigt!), dass jeder*r diesen Würdekern in sich trägt und es ein Geburtsrecht ist, dass dieser gewahrt bleibt, ja, gewürdigt wird.

Ich schreibe, das ist eine Grundannahme. Ich glaube es, ich möchte es glauben, ich weiß es nicht (wie so vieles im Moment). Ich ahne es.

Und ich spüre, dass in jeder Auseinandersetzung das der Punkt ist, an dem es hakt. Der Blick, die Ahnung, dass es diesen würdevollen Kern ganz hinten, ganz unten, vielleicht total verschüttet von vielen schmerzlichen, entwürdigenden Erfahrungen gibt, geht zumindest bei einer Seite verloren (meist bei beiden…)

Und ja, ich kenne das und ich ahne auch, dass es darum geht, Kontakt zu meiner Würde zu haben und von dort aus Kontakt mit der Würde des/der anderen aufzunehmen. Hinter die Argumente, hinter die Wut, hinter die Rechtfertigung, hinter das Geschrei, hinter die Angst, darunter zu blicken und zu ahnen, wir sind verbunden. Doch ist es gar nicht einfach, diese Schichten in mir freizulegen, die Argumente beiseite zu legen, die Wut verrauchen zu lassen, die Rechtfertigung abzulegen, das Schreien aufzuhören, die Angst anzuerkennen, also richtiggehend abzurüsten, um vom ungeschütztesten Punkt aus, mit Scheu und würdevoll auf den ungeschützten Punkt im anderen zu sehen.

Alles was es dazu braucht an Haltung, an innerer Arbeit, an Selbstreflexion, an Blick auf die eigenen Wunden, kultiviert Würde.